Das tatsächliche Problem?
Laut Österreichischem TierSchG § 5. (1) und (2) ist die Zucht von Tieren verboten, die zu vorhersehbaren, erblich bedingten, klinischen Symptomen führt, welche sich wiederum dauerhaft und wesentlich auf die Gesundheit auswirken, physiologische Lebensläufe wesentlich beeinträchtigen oder in einer erhöhten Verletzungsgefahr resultieren ("Qualzucht").
Beispiele:
- Verpaarung zweier Typ-Punktschecken (K/k x K/k)*: es können Weißlinge (K/K) mit Megacolon-Syndrom fallen, vermutlich insbesondere bei Nicht-Beachtung der Abstammung, bzw. von Verwandtschaftsverhältnissen;
- Verpaarung zweier Typzwerge (Dw/dw x Dw/dw)*: es können nicht lebensfähige Peanuts (dw/dw) fallen
(Stucki et al. 2008; Herzog et al. 2005; siehe auch Hepberger 2022).
*: Achtung: bei diesen Verpaarungen sind nach den Mendel-Regeln auch gesunde Nachkommen zu erwarten (Typschecken oder vollpigmentierte Schecken; bzw. Typzwerge oder "Langohren") - allein deren Phänotyp lässt keinen Rückschluss auf die Genotypen der Elterntiere zu!
Anmerkung: Ab 01.01.2025 wird in Österreich eine ↗Qualzucht-Kommission wissenschaftliche Grundlagen und Empfehlungen für die Umsetzung des bestehenden Qualzuchtverbots erarbeiten, bzw. Qualzuchtmerkmale (bei Heimtieren) konkretisieren (↗anstehende Novelle des österreichischen Tierschutzgesetzes).
Widderkaninchen - Eine Qualzucht?
Betreff:
Merkblatt Nr. 17 "Merkblatt Kaninchen Typ Widder"
(vormals: QUEN-KN-MB-sD-2022_1, erste Version vom 30.04.2022)
der Qualzucht-Evidenz Netzwerk gGmbH (QUEN, "Qualzucht Datenbank")
Stand 08/2024
Vorwürfe:
Im Vergleich zu Stehohrkaninchen hätten Kaninchen mit hängenden Ohren
- einen verengten Ohrkanal mit mangelnder Belüftung (bzw. "Luftabschluss") und einer gestörten Selbstreinigung, in dem sich Entzündungsmaterial sammle (ggf. Wachstum obligat anaerober gram-negativer Bakterien), und damit ein größeres Risiko für Ohrerkrankungen; die (endoskopische) Darstellung des Trommelfells sei häufig schwierig bis unmöglich (1);
- ein größeres Risiko für Zahnerkrankungen durch Brachyzephalie (Zahnprobleme würden bei Kaninchen mit Schlappohren signifikant häufiger auftreten, Zwergwidder seien bei der Feststellung von Zahnproblemen überrepräsentiert.) (2);
- (ggf.) erheblich eingeschränkte Sinnesleistungen (erhöhte Hörschwelle oder Taubheit als Folgeerscheinung der gestörten Selbstreinigung, bzw. einer Otitis; eingeschränktes visuelles Feld bei Übertypisierung) (3);
- ggf. ein erheblich eingeschränktes Ausdrucksverhalten, welches in innerartlichen Kommunikationsschwierigkeiten resultieren könne (4);
- eine erhöhte Verletzungsgefahr der Ohren (insbesondere bei Englischen Widdern) (5);
womit der Verdacht einer Qualzucht bestehe.
Eine Beurteilung möglicher zuchtbedingter Defekte müsse "optisch" am Einzeltier erfolgen, optional unterstützt durch bildgebende Verfahren (MRT/ CT), und ggf. unter Berücksichtigung des individuellen Inzuchtkoeffizienten. Im Widerspruch dazu, und obwohl der QUEN nicht einmal "genetische Untersuchungen zu Hängeohren beim Kaninchen" bekannt sind, wird dennoch ein allgemeines Zucht- und Ausstellungsverbot für Widderkaninchen gefordert.
Disclaimer: Die vorliegende Seite dient NICHT dem Kleinreden von bestimmten Abwegen in der (Kaninchen-)Zucht. Dass grundsätzlich und über alle Haustiere hinweg bezüglich der Durchsetzung des Qualzuchtverbots dringend Handlungsbedarf besteht, wird nicht angezweifelt.
Was bedeutet "evidenzbasiert"?
Gemäß der wissenschaftlichen Bedeutung von "evidenzbasiert" (engl. evidence-based) werden Empfehlungen oder Entscheidungen zu einer bestimmten Fragestellung unter Berücksichtigung der gesamten dazu verfügbaren Evidenz (in der Medizin: Ergebnisse empirischer Forschung; d.h. Beweise/ Fakten) getroffen - Liegen mehrere hochwertige Studien vor, kann aufgrund definierter Kriterien eine Selektion der Evidenz erfolgen. Um Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten, werden die herangezogenen Ergebnisse sowie deren Vertrauenswürdigkeit stets kommuniziert.
Verlässliche Evidenz setzt faire Studien voraus, die darauf ausgelegt waren, systematische Fehler (Bias) sowie zufallsbedingte Unsicherheiten zu reduzieren.
"Evidenzbasierte Veterinärmedizin (EVM) ist die Verwendung der besten relevanten Evidenz in Verbindung mit klinischem Fachwissen, um die bestmögliche Entscheidung für einen tierärztliche Patienten zu treffen. Dabei müssen auch die Umstände des jeweiligen Patienten sowie die Umstände und Werte des Besitzers/ Halters berücksichtigt werden."
↗Zentrum für evidenzbasierte Veterinärmedizin (Universität Nottingham)
Zur Evidenz im QUEN-Merkblatt Nr. 17
(oder: Willkür als Grundlage für Verbote?)
Die QUEN gGmbH verfolgt zwar das Ziel, transparent und umfassend über gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse im Bereich der Zucht mit Defekten zu informieren ("Die Öffentlichkeit soll in einem transparenten Prozess umfassend informiert werden. [...] Mit der der Website QUEN entsteht eine sachverständige Zusammenfassung dessen, was als aktueller, gesicherter wissenschaftlicher Kenntnisstand im Bereich der Zucht mit Defekten gilt."; https://qualzucht-datenbank.eu/weitere-informationen-einfuehrung-qualzucht/; letzter Abruf 06.11.2024), und auch der Name "Qualzucht Evidenz Netzwerk" verleitet zur Annahme, die angebotenen Informationen seien - im wissenschaftlichen Sinne - evidenzbasiert. Allerdings nutzt QUEN eine philosophische Definition für den Evidenz-Begriff: "Für Gewissheit bedarf es keiner Beweisführung" (https://qualzucht-datenbank.eu/home-weitere-info-projekt-quen/; letzter Abruf 06.11.2024).
So wurde für die Erstellung des Merkblatts Nr. 17 (08/2024 und alle vorherigen Versionen) auf eine systematische, kritische Auswertung der vorhandenen Evidenz verzichtet - selbst eine eindeutige Zuordnung der "möglichst knapp"* gehaltenen Informationen fehlt. Auf Basis der angegebenen "Auswahl an Quellen" ist eine Nachvollziehbarkeit der getroffenen Aussagen jedenfalls nicht möglich. "Umfangreichere Literaturlisten", bzw. "Langversionen der Merkblätter mit Quellenangaben zum wissenschaftlichen Hintergrund"* werden wohl "ausschließlich an Veterinärämter versendet" (eine private Anfrage blieb unbeantwortet). QUEN weist ausdrücklich darauf hin, dass teils "keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse" vorliegen und entsprechende Aussagen auf subjektiven Erfahrungen von "Experten" beruhen würden - aus dem Merkblatt geht jedoch nicht hervor, auf welche Aussagen sich dieser Hinweis konkret beziehen solle.
(*: https://qualzucht-datenbank.eu/kaninchen/; letzter Abruf 21.08.2024)
In einer Nachricht vom 02.08.2024 (https://qualzucht-datenbank.eu/neue-studie-schlappohren-bei-widderkaninchen-doch-nicht-so-problematisch/, letzter Abruf 06.08.2024) verweist QUEN im Zusammenhang mit der letzten Aufversionierung des Merkblatts auf eine private Webseite ("Kaninchenwiese"), deren Inhalte ebenso nicht nachvollziehbar und fehlerhaft sind.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist der tatsächliche Forschungsstand im Merkblatt (Stand 08/2024) nicht korrekt dargestellt ("Desinformation").
➭ Zur Bewertung, ob hängende Ohren beim Kaninchen pauschal ein Defektmerkmal gemäß TierSchG § 5. darstellen, ist das Merkblatt Nr. 17 (Stand 08/2024) als Informationsgrundlage NICHT geeignet.
Gemäß QUEN Newsletter Nr. 2 (04/2023) und Nr. 5 (07/2024) solle ab Herbst 2024 die Applikation "DiaQUEN", durch die Einteilung von "rassebedingten" Defekten in verschiedene Belastungskategorien, Veterinären eine "neutrale, nicht willkürliche Beurteilung" der Zucht- und Ausstellungseignung von Einzeltieren ermöglichen. Für deren Etablierung solle die Schweizer "↗Verordnung des BLV über den Tierschutz beim Züchten" als Vorbild dienen (siehe auch PDF ↗Tierschutzwidriges Züchten – Darstellung der Rechtslage in der Schweiz und in Deutschland).
Details zur Generierung einer verlässlichen Datenbasis für verschiedene Haustierrassen oder der vorgesehenen Transparenz für Zuchtorganisationen wurden bisher nicht erwähnt. Jedenfalls sieht die Schweizer Verordnung für eine solide Belastungsbeurteilung den zusätzlichen Einbezug von erfahrenen Fachleuten in Zuchtbiologie und Genetik sowie Ethologie vor - allein Veterinärmediziner, wie von QUEN vorgeschlagen, wären nicht ausreichend.
Ergänzende Anmerkung: Es gibt keine allgemeingültigen Grenzwerte für Inzuchtkoeffizienten zur Beurteilung der Gesundheit von Individuen. Inzucht ist ein tierzüchterisches Werkzeug, welches, verantwortungsbewusst eingesetzt, nicht per se schlecht ist. Abhängig von verschiedenen Faktoren (Art und Anzahl von Defektgenen, Umweltbedingungen, Art und Umfang der Selektion) kann eine Population (Rasse, Linie) auch ein höheres Inzuchtniveau tolerieren.
Klassische Inzuchtkoeffizienzen können nur bei einer kontrollierten Zucht mit ordentlicher Zuchtbuchführung ermittelt werden, dagegen ist dies bei unkontrollierter Vermehrung nicht möglich. Den Grad der Inzucht mittels Ermittlung von genomischen Inzuchtparametern zu überwachen, wäre insbesondere für das Management von kleinen Populationen (gefährdete Rassen) sinnvoll; eine breite Anwendung außerhalb von Forschungseinrichtungen ist allerdings bei Kaninchen (noch) nicht möglich (siehe Zuchtstrategien).
Im Übrigen ist nicht bekannt, wie QUEN den Begriff "Rasse" definiert (- vermutlich um ein Vielfaches weiter gefasst, als es die herkömmliche Definition erlaubt).
Erkenntnisse aus der Wissenschaft
1) Ohrenentzündungen
Mittel- und Innenohrentzündungen
Grundsätzlich, d.h. über alle Phänotypen hinweg, kann eine Ohrentzündung - ohne Beteiligung des äußeren Gehörgangs und bei intaktem Trommelfell - durch Erreger (insbesondere Pasteurella multocida) verursacht werden, die vom Nasenrachenraum über die Eustachische Röhre zum Mittelohr (und weiter zum Innenohr) wandern (Harcourt-Brown 2002).
- Mögliche Symptome einer Mittelohrentzündung (Otitis media) sind Appetitmangel, Teilnahmslosigkeit, Kopfschütteln, Kratzen am Ohr, Geruchsbildung, Schwerhörigkeit, tastbare Schwellungen am Ohrgrund (Ohrgrundabszess), veränderte Ohrenstellung oder Asymmetrie des Gesichts;
- bzw. einer Innenohrentzündung (Otitis interna) (zusätzlich) Kopfschiefhaltung oder motorische Beeinträchtigungen;
- insbesondere eine frühe, bzw. akute Otitis media kann auch ohne (deutlich erkennbare) klinische Symptome auftreten (!)
(Flatt et al. 1977*; Eatwell et al. 2013**; de Matos 2014/ et al. 2015; Ewringmann 2016; Richardson et al. 2019; Chana & Keeble 2022; Monge et al. 2023; Iorgini et al. 2023***).
*: Flatt et al. (1977) stellten bei der post-mortem Untersuchung von 2.584 Schlachtkaninchen - vermutlich überwiegend mit Stehohren - trotz fehlender klinischer Symptome eine hohe Prävalenz von Otitis media besonders bei älteren Tieren fest. Sie isolierten bei den betroffenen Tieren insbesondere Pasteurella multocida (fakultativ anaerob), welche auf eine sekundäre Otits nach Infektion der Atemwege hinweisen können.
**: Eatwell et al. (2013) beschrieben eine Behandlungsmöglichkeit bei Ohrerkrankungen und stellten bei den betrachteten sechs Widderkaninchen Ohrgrundabszesse, Kopfschütteln oder Kratzen am Ohr fest. Von den Besitzern wurden zuvor jedoch keine Symptome bemerkt.
***: Iorgini et al. (2023) stellten eine Beteiligung von Bakterien der Gattung Pasteurella bei an Otits erkrankten Kaninchen verschiedener Rassen fest.
Ergänzende Anmerkung: Eine Kopfschiefhaltung, bzw. Störung des Gleichgewichtssinns kann verschiedenste Ursachen haben, z.B. Pilze, Bakterien, Viren, Parasiten, Umweltgifte, Kopftraumata oder Neoplasien; in einer Population englischer Hauskaninchen waren Otits media et interna und EC die häufigsten Ursachen (Liatis et al. 2024; n=73, bzw. 36 mit finaler Diagnose; Beobachtungszeitraum 2009-2020).
Diagnose:
Im Zusammenhang mit akuter Otits media kann sich Flüssigkeit in der Paukenhöhle des Mittelohrs ansammeln. Bei chronischem Fortschreiten der Erkrankung können strukturelle Veränderungen der Paukenhöhle auftreten (die vermutlich mit erkennbaren klinischen Symptomen einhergehen(!); Richardson et al., 2019; siehe auch Coeuriot et al., 2022).
Die Computertomographie (CT) wurde von Thöle & Cinquoncie (2022), Keeble (2023) sowie Liatis et al. (2024) als derzeit zuverlässigste Methode zur Diagnose einer Otitis media bezeichnet - dabei verwiesen sie auf die Arbeit von Richardson et al. (2019), in der festgestellt wurde, dass CT für sich allein genommen möglicherweise nicht ausreichend für eine eindeutige Diagnose sei. Auch de Matos (2014) benannte allein mittels CT ermittelte Auffälligkeiten als Limitierung seiner Arbeit. (Hier wurden bei 12 von 21 (57 %) Kaninchen mit klinischen Anzeichen einer Ohrenerkrankung und bei 18 von 67 (27 %) Kaninchen ohne klinische Anzeichen einer Ohrenerkrankung im CT eine Mittelohrentzündung festgestellt.)
Angesichts der hohen Kosten für eine CT stellen Ultraschalluntersuchungen eine mögliche Alternative dar - so konnten King et al. (2012) und Coeuriot et al. (2022) recht zuverlässig das Vorhandensein, bzw. Nichtvorhandensein von Flüssigkeit in Paukenhöhlen identifizieren (King et al., 2012: Vergleich von Röntgen, CT und Ultraschall anhand von 40 euthanasierten Weißen Neuseeländern ohne Anzeichen einer Ohreninfektion, deren Paukenhöhlen teilweise mit einem wasserbasierten Gel gefüllt wurden; Coeuriot et al., 2022: Ultraschall bei 40 adulten, augenscheinlich gesunden Kaninchen, davon 20x <3kg und 20x >3kg); die Validierung dieser Methode wäre allerdings noch ausstehend.
Sekundär kann sich eine Mittelohrentzündung durch das Trommelfell zum Außenohr ausbreiten (de Matos 2014/ et al. 2015).
Außenohrentzündungen
Eine Außenohrentzündung (Otitis externa) kann, ebenfalls über alle Phänotypen hinweg, z.B. nach Milbenbefall, Fremdkörpern im Ohr, Bissverletzungen oder exzessiver Produktion und Ansammlung von Cerumen entstehen - umweltbedingt geschädigte Haut begünstigt das Eindringen von Bakterien oder Pilzen.
Verbreitete Symptome sind vermehrtes Kratzen an den Ohren, Kopfschütteln, Ohrgrundabszesse, sichtbares Material im äußeren Gehörgang oder Geruchsbildung.
Die Diagnose einer Otits externa erfolgt in der Regel mittels Otoskopie und Zytologie (Ewringmann 2016; Richardson et al. 2019; Arts & Verstappen 2023); in weiterer Folge können auch Zellkultur oder genomische Sequenzierung des Materials aus dem Abstrich wertvolle Hilfsmittel darstellen (Damerum et al. 2023; Makri et al. 2024).
Eine unbehandelte Entzündung des Außenohrs kann zur Schädigung des Trommelfells und weiters ebenfalls zu einer Mittel-/ Innenohrentzündung führen (de Matos 2014/ et al. 2015).
Widderkaninchen haben durchschnittlich mehr Cerumen im Gehörgang als Kaninchen mit stehenden Ohren und könnten (demnach) anfälliger für die Ausbildung einer Otitis externa sein (potentiell erhöhte bakterielle Belastung; auch eine mechanische Schädigung des Trommelfells durch übermäßig angestautes Cerumen wäre denkbar) (de Matos 2014/ et al. 2015; Reuschel 2018; Richardson et al. 2019; Johnson & Burn 2019; Arts & Verstappen 2023; ↗Kaninchenschutz Schweden; Chivers et al. 2023; Monge et al. 2023; Makri et al. 2024 - allesamt ungeeignet, um ein allgemeines Risiko abzuleiten).
Bisher existieren keine veröffentlichten, wissenschaftlichen Arbeiten, aus denen zweifelsfrei eine allgemein und signifikant höhere Anfälligkeit für Ohrentzündungen von Widder- gegenüber Stehohrkaninchen abgeleitet werden könnte (- dass es sich bei diesem Vorwurf um eine vorläufige Einschätzung von Heimtierärzten ohne zuverlässige Datenbasis handelt, wurde vom QUEN im Newsletter Nr. 5, 07/2024, sowie in der Nachricht vom 02.08.2024 bestätigt).
Schlussfolgerungen von (unfairen, retrospektiven) Fallstudien oder Umfragen gelten grundsätzlich nur für die jeweilige, eingeschränkte Auswahl und haben keine Aussagekraft für mögliche, allgemeine Risiken; so z.B.:
- Johnson & Burn (2019) präsentierten Untersuchungsergebnisse aus einem Tierheim. Es wurde festgestellt, dass die getroffene, subjektive Auswahl von insgesamt 30 Kaninchen unbekannter Herkunft "selbstverständlich" NICHT repräsentativ für alle Hauskaninchen sein kann.
- Ebenso wenig geeignet für eine allgemeine Schlussfolgerung ist die Arbeit von Reuschel (2018), in der retrospektiv CT-Aufnahmen von 388 - im Kopfbereich erkrankter - Kaninchen ausgewertet wurden.
- "A strong correlation was found between external ear and middle ear changes on CT [...] (not between ear position and clinical or subclinical ear disease) [...]. Considering lop-eared rabbits’ unique ear canal anatomical features, excessive humidity and/or accumulation of cerumen may result in development of otitis externa. Asymptomatic and non-treated chronic otitis externa would then result in otitis media. A prospective study would be required to accurately determine the incidence and pathogenesis of otitis media in rabbits with otitis externa. [...] This would again support otitis externa as a predisposing factor for the development of otitis media in rabbits, and the existence of additional predisposing factor(s) and/or multifactorial disease process in the species. [...] Due to the retrospective nature of the study, inclusion criteria established and method of diagnosis chosen (CT exam), the prevalence of clinical and subclinical middle ear disease reported in this study may not reflect accurately the overall prevalence of ear disease in domestic rabbits. A prospective study with broader inclusion criteria, detailed client survey, the use of additional diagnostic tests (including otoscopy with cytology and microbiology of middle ear exudate, CT with contrast, MRI) and comparison of imaging middle ear changes with surgical findings and histopathology would provide a better understanding of middle ear disease in pet rabbits." (de Matos 2014/ et al. 2015, n=88; Hervorhebungen hinzugefügt)
- In Chivers et al. (2023) wurde auf eine mögliche Verzerrung der erlangten Ergebnisse aufgrund der Methodik (nicht repräsentative Halter-Umfrage) hingewiesen.
- "Further research is needed to investigate whether otitis media in lop-eared rabbits arises from otitis externa, respiratory infections, or both sources." (Monge et al. 2023)
Verfügbare Forschungsarbeiten zu einem möglichen Unterschied zwischen Kaninchen mit stehenden und hängenden Ohren hinsichtlich der Besiedelung mit pathogenen Keimen im Ohr:
- Qinton et al. (2014) untersuchten 146 Zwergkaninchen ohne Otitis externa: 78 männliche und 68 weibliche Tiere in einem Alter von 3 Monaten bis 11 Jahren (Mittelwert 4,5 Jahre). 108 der Kaninchen hatten Stehohren und 38 hängende Ohren. Abstriche aus dem äußeren Gehörgang ergaben keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf das Vorhandensein von Pilzen, Bakterien und Entzündungszellen.
- Bei der vergleichenden Untersuchung von Reuschel (2018) konnten keine signifikanten Unterschiede des Ohrenmikrobioms im Vergleich von Stehohr- zu "Schlappohrkaninchen" festgestellt werden.
Bei ohrerkrankten Widderkaninchen wurden u.a. die Anaerobier Fusobacterium und Prevotella gefunden, als deren natürliches Habitat die Mundschleimhaut gilt, wo sie an Abszessen beteiligt sein können (möglicher Aufstieg über die Eustachische Röhre ins Mittelohr). - Auch von Johnson & Burn (2019) wurde das Ohrenmikrobiom der jeweils 15 ausgesuchten Stehohr- und "Schlappohrkaninchen" mikroskopisch untersucht. Es wurden keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich Bakterien und Pilzen gefunden.
Fazit dieser Ergebnisse: KEINE signifikanten Unterschiede in Bezug auf ein "Wachstum obligat anaerober gram-negativer Bakterien".
(Siehe dazu auch FB "Kaninchen würden Wiese kaufen" (Rühle): Veröffentlichungen vom 01.06.2022 und 07./08.05.2023.)
Jedoch kann die herkömmliche Methode der Kultivierung von Keimen auf Agarplatten hinsichtlich der Identifizierung und Quantifizierung einiger (anaerober) Mikroorganismen limitiert sein, denn kultivierbare Mikroorganismen stellen i.d.R. nur einen kleinen Teil des gesamten Mikrobioms dar (Diaz et al. 2021; Damerum et al. 2023; Makri et al. 2024; Übersicht in McCready et al. 2024).
In einer Studie von Diaz et al. (2021; siehe auch Diaz 2023) wurde zum ersten Mal versucht, das Mykobiom des äußeren Gehörgangs von Kaninchen verschiedener Rassen (n=60, davon 44 Heimkaninchen - davon 31 Widderkaninchen - und 16 Nutzkaninchen; alle ohne klinische Anzeichen einer Otitis externa) mittels einer modernen Technologie zur DNA-Sequenzierung (next-generation sequencing, NGS) zu untersuchen - hinsichtlich Hefepilzen (Malassezia) konnte kein signifikanter Unterschied zwischen Stehohr- und Widderkaninchen festgestellt werden.
Vecere et al. (2022) hielten fest: "It is still unknown whether the aural microbiome is a causative factor in the cascade of reactions leading to otitis externa or rather a byproduct of the true causative factor." Auch in ihrer Untersuchung wurde das Mikrobiom von klinisch gesunden Kaninchen (n=34) mit dem Mikrobiom von Kaninchen mit Außenohrentzündung (n=16) mittels NGS (↗Illumina platform) untersucht. In beiden Gruppen wurde eine große Variabilität zwischen den einzelnen Individuen festgestellt - Während das Mikrobiom der gesunden Kaninchen insgesamt eine sehr hohe Diversität zeigte, herrschten bei den erkrankten Kaninchen aber bestimmte Keime deutlich vor, z.B. Staphylococcus aureus (fakultativ anaerob) oder Pseudomonas aeruginosa (obligat aerob).
Schlussfolgernd könnten sowohl Bakterien als auch Pilze eine Rolle bei der Entstehung einer Außenohrentzündung spielen - Zum besseren Verständnis der komplexen Dynamik des Mikrobioms und zur Identifikation kausaler Faktoren für die Entstehung von Außenohrenentzündungen wären jedoch weitere Forschungsarbeiten notwendig.
(... z.B. eine differenzierte Betrachtung von Stehohr- und "Schlappohrkaninchen" mittels NGS und mit größerer Stichprobe, zeitlichem Verlauf in kontrollierter Umgebung ...)
Anmerkung: Auch in Monge et al. (2023) wurden - unter Verwendung von Agarplatten für aerobe und anaerobe Kultur - P. multocida, B. bronchiseptica and S. aureus am häufigsten (aus kranken Mittelohren) isoliert, dagegen wurden keine rein anaeroben Bakterien gefunden.
Zum besseren Verständnis des physiologischen Mikrobioms der Außenohren untersuchten Makri et al. (2024) an der Kleintierklinik der Universität Edinburgh (UK) 63 klinisch gesunde Kaninchen (ohne nachgewiesene Entzündungszellen oder Ektoparasiten im Außenohr; Alter: 0,3 bis 9,8 Jahre, Gewicht: 0,8 bis 6 kg, sowohl Mischlinge als auch reinrassige Tiere (Rasse nicht angegeben), sowohl mit stehenden als auch hängenden Ohren) mittels Otoskopie und Zytologie; bei 12 dieser Tiere wurde außerdem eine Zellkultur des Ohr-Abstrichs angelegt sowie DNA aus Kulturen sequenziert.
Es wurde festgestellt, dass die Besiedelung des Gehörgangs mit Bakterien und Hefen bei Kaninchen grundsätzlich als physiologisch angesehen werden kann. (Gesunde) Kaninchen mit "Schlappohren" wiesen signifikant mehr Cerumen sowie Bakterien im Außenohr auf als Kaninchen mit Stehohren (➭ Eine Ansammlung von Cerumen könnte eine Fehlbesiedelung mit Bakterien und damit Otitis externa begünstigen.). Es wurden aber keine Mikroben identifiziert, welche in diesem Zusammenhang eine pathogene Rolle spielen könnten. Weiters verdeutlichten ihre Sequenzierungs-Ergebnisse einen möglichen Einfluss der Umwelt (Haltung) auf die Zusammensetzung des Ohr-Mikrobioms. Mit dem verwendeten Otoskop war nur bei 5 (16%)
der betrachteten 32 Kaninchen mit Hängeohren eine Einsicht bis zum Trommelfell möglich; allerdings waren auch Stehohren dabei, bei denen dies nicht möglich war (Einsicht möglich bei 18 von 31 Tieren, 58 %) - die Autoren führten als wahrscheinliche Ursachen Unterschiede in Form und Größe des Gehörgangs (insbesondere bei Zwergkaninchen) und das Vorhandensein von Cerumen an.
VetCompass Programm des Royal Veterinary College (RVC), UK
In dem Bestreben, vorhandene Datenlücken zu füllen, sollten in einer retrospektiven Kohortenstudie von O'Neill et al. (2024) die Häufigkeit
für Erkrankungen und ihre Risikofaktoren - mit einem Fokus auf Geschlecht, Rasse, Schädel- und Ohrform - bei Heimkaninchen ermittelt werden. Dazu wurde eine zufällige Stichprobe von 3.933 Kaninchen aus einer
Gesamtzahl von 162.017, die im Jahr 2019 in 1.224 englischen Tierkliniken vorgestellt wurden, ausgewertet. Zu den am häufigsten in dieser Arbeit erfassten "Rassetypen" gehörten Mischlinge (10%), Zwergwidder (9%), Widderkaninchen ohne Rassezuordnung (7%) und Löwenköpfchen (7%).
Die Ergebnisse konnten die aufgestellte Hypothese,
dass Widderkaninchen im Vergleich zu Kaninchen mit stehenden Ohren eine höhere
Prävalenz von Ohrerkrankungen aufweisen, nicht bestätigen. Die Autoren empfahlen, als Ursachen der am häufigsten bei Kaninchen auftretenden Erkrankungen (überlange Krallen, Zahnprobleme, Übergewicht, Magen-/ Darmerkrankungen, Hauterkrankungen) nicht nur die Zuchtform, sondern auch andere Faktoren wie Haltungsbedingungen oder Mangelernährung in Betracht zu ziehen. Jedenfalls sollten hängende Ohren und Brachyzephalie als separate Risikofaktoren betrachtet werden (d.h. nicht unter einem "Typ Widder" zusammengefasst werden; Anmerkung ergänzt).
Als Limitierungen wurden genannt: die tierärztlichen Aufzeichnungen über die Rassezuordnung der Patienten waren unzureichend (in 32% der Datensätze keine Angaben zur Rasse); möglicherweise konnte die Prävalenz von "stillen" Erkrankungen nicht angemessen ermittelt werden.
Podcast "Exzellent erklärt"
Sonstiges
Wenn es tatsächlich einen "Luftabschluss" im Gehörgang hängender Ohren (aufgrund der Ohrform) gäbe, wären ALLE Widderkaninchen taub, denn Schallwellen werden in der Luft übertragen und im Ohr in Signale umgewandelt, die das Gehirn erkennen und verarbeiten kann. Das ist offensichtlich nicht der Fall.
Schon frühere Arbeiten legten dar, dass zu den häufigsten Vorstellungsgründen oder Diagnosen in Tierarztpraxen Erkrankungen der Zähne*, Kastration, Magen-/ Darmerkrankungen, Augenerkrankungen, Hauterkrankungen oder überlange Krallen gehören und dagegen eher selten Erkrankungen der Ohren (Mullan & Main (2006 (n=102); Langenecker et al. 2009 (n=2.125, Universitätsklinik Zürich, 1994-2003); O'Neill et al. 2020; O'Neill et al. 2024). In Langenecker (2009) wurde außerdem EC relativ häufig nachgewiesen.
O'Neill et al. (2020) werteten im Rahmen des VetCompass Programms des RVC 6.349 Kaninchen aus, welche im Jahr 2013 an 107 englischen Tierkliniken als Patienten dokumentiert wurden. Auch hier wurde bereits festgestellt, dass eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse oft weder vom Besitzer noch vom beteiligten tiermedizinischen Personal bestimmt werden konnte, wobei Kaninchen mit hängenden Ohren häufiger vertreten waren als Kaninchen mit Stehohren. Ohrenentzündungen oder Ohrabszesse kamen selten und eher bei älteren Tieren vor (Prävalenz "Auditory": 1.0%, bzw. "Abscess": 1.9%).
*: Annahme: Metabolische Faktoren oder Verletzungen als Hauptursache für erworbene Zahnerkrankungen. Allerdings kann auch eine subklinische Otitis media, bedingt durch Schmerzen oder einer Entzündung des Gesichtsnervs (Nervus facialis), zu einem veränderten Kauverhalten, d.h. sekundär zu Zahnerkrankungen führen (Koterwas 2020; siehe auch Del Chicca et al. 2023).
2) Brachyzephalie/ Zahnerkrankungen
Brachygnathia superior (Mandibuläre Prognathie): verkürzter Oberkiefer, vermutlich autosomal rezessive und unvollständig penetrante, Rasse-unabhängige Vererbung (siehe Abschnitt "(Defekt-)Merkmale" auf der Seite Genetik).
Eine verkürzte Gesichtsform könnte mit Malokklusion und damit einhergehendem übermäßigen Wachstum der Zähne zusammen hängen. Im Gegensatz zu Hunden oder Katzen wurde diese Form der Brachyzephalie beim Kaninchen bisher nur wenig erforscht. Dementsprechend gibt es keine definierte Grenze zu einem möglichen pathologischen Phänotypen.
Der Zwergfaktor "dw" (Inaktivierung des Gens HMGA2; siehe Genetik) könnte eine Rolle bei erblichen Zahnfehlstellungen spielen - Ein Zusammenhang konnte bisher allerdings nicht festgestellt werden ("Calcium disorders may be present, such as increased fragility of the bones or abnormalities of the teeth. It is possible, however, that this has no relation to the dwarf mutation as such.", Robinson 1958).
Nicht alle (Zwerg-)Kaninchen tragen diesen Defekt (ausgenommen sind z.B. alle "Langohren" oder Zwergwidder nach EE oder ZDRK Standard, bzw. alle größeren Widder), weshalb eine verallgemeinerte Zuordnung zu Widderkaninchen keinen Sinn ergäbe.
Neben genetischen Faktoren können umweltbedingte Faktoren wesentlich an der Entstehung von Zahnerkrankungen beteiligt sein:
Im Rahmen einer Dissertation wurde eine Auswahl von 80 als Heimtiere gehaltene Kaninchen verschiedener Rassen/ Phänotypen untersucht, die in den Jahren 1998 und 1999 in der Universitätsklinik Berlin vorgestellt wurden - viele davon wiesen z.B. eine mangelhafte Futteraufnahme, Zahn- oder Kiefererkrankungen auf. Ihr durchschnittliches Alter lag bei 4,5 Jahren. Aus der Vermessung der Kiefer in Relation zu Zahnerkrankungen wurde festgestellt: "Die Vermutung, dass rundere Kopfformen, wie sie bei Zwerg- und Widderkaninchen rassetypisch sind, als Prädisposition für Zahn- und Kiefererkrankungen anzusehen sind, kann damit vorliegend NICHT bestätigt werden." (Glöckner 2002).
In einer englischen Dissertation wurde im Jahr 2006 in Bezug auf die untersuchte Prävalenz für Zahnerkrankungen zwischen Zwergkaninchen, Zwergwiddern sowie Nicht-Zwergen (Kaninchen mit Stehohren als auch hängenden Ohren) - insgesamt wurden 1.254 Kaninchen untersucht - KEIN signifikanter Unterschied festgestellt. Eine Schlussfolgerung dieser Arbeit war, dass metabolische Knochenerkrankungen* eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von Zahnerkrankungen bei Hauskaninchen spielen. Für die Überprüfung dieser Hypothese wäre jedoch eine kontrollierte prospektive Studie über mehrere Jahre hinweg notwendig (Harcourt-Brown 2006).
*: Metabolische Knochenerkrankungen werden durch eine ungeeignete Ernährung erworben - auch haltungsbedingte Faktoren (z.B. Kastration, Lichtverhältnisse) können eine Rolle spielen.
Mosallanejad et al. (2010) untersuchten an einer iranischen Universitätsklinik im Zeitraum 2006-2009 105 zufällig ausgewählte, meist zum Routine-Check-up vorgestellte Heimkaninchen im Alter von einem Jahr bis fünf Jahren und mit einem durchschnittlichen Gewicht von 2250g (keine weitere Angabe zum Phänotyp). Dabei wurden Zahnerkrankungen mittels klinischer Untersuchung und Röntgen bei sieben Tieren (7%) festgestellt (alle älter als drei Jahre, alle aus Innenhaltung und alle mit "soft fibre" ernährt). Es wurde auf die große Bedeutung einer möglichst natürlichen Ernährung (frisches Gras, Wildkräuter) hingewiesen.
In Reuschel (2018) war der Anteil an Zahnerkrankungen als Vorstellungsgrund bei Stehohrkaninchen deutlich höher als bei Widderkaninchen (28% vs. 17%). Das Durchschnittsgewicht der untersuchten Tiere lag bei etwa 2 kg, und ihr Durchschnittsalter lag bei vier bis fünf Jahren.
Böhmer & Böhmer (2020) merkten in ihrer Untersuchung der Anwendbarkeit anatomischer Referenzlinien zur Interpretation von Zahnerkrankungen an, dass morphologische Veränderungen des Gebisses (bei denen die Referenzlinie nicht anwendbar war) nicht zwingend vererbt werden, sondern durchaus im Zusammenhang mit postnataler Fehlernährung stehen können (n=80; die untersuchten Tiere repräsentierten die "typische Vielfalt von Heimkaninchen", keine Rassezuordnung). Bereits in einer früheren Arbeit betonten sie die große Bedeutung einer naturnahen Ernährung für die Zahngesundheit von Hauskaninchen, insbesondere von Jungtieren während der Umstellung von Milch auf feste Nahrung (Böhmer & Böhmer 2017; n=24, davon 12 Wildkaninchen und 12 Hauskaninchen mit stehenden Ohren).
Palma-Medel, Marcone & Alegría-Morán (2023) sind der Auffassung, dass die meisten Zahnanomalien bei Hauskaninchen auf eine erworbene Zahnerkrankung zurückzuführen wären; sie untersuchten retrospektiv 1.420 Kaninchen, die einer chilenischen Privatpraxis in den Jahren 2018 bis 2021 vorgestellt wurden auf mögliche Risikofaktoren. Eine Zuordnung zu einer bestimmten Rasse war nicht möglich. Es wurde insgesamt eine hohe Prävalenz von Zahnerkrankungen festgestellt (25%), meist an den Backenzähnen. Als signifikante Risikofaktoren wurden Alter (zunehmend) und Geschlecht (männlich) ermittelt; als schützende Faktoren dagegen eine großzügige Haltung (ohne Käfig) sowie der Verzehr von Heu in der Ernährung.
Mit dem Ziel, geeignete Behandlungsmethoden zu identifizieren, untersuchten Levy & Mans (2024) retrospektiv 72 Kaninchen, bei denen im Zeitraum 2011-2022 gemäß einer medizinischen Datenbank tastbare und durch CT bestätigte Zahnabszesse diagnostiziert wurden (entsprechen 4% von insgesamt 1.868 erfassten Tieren). Unter den derart erkrankten Kaninchen waren Zwergwidder überrepräsentiert, und es wurden aufgrund der limitierten Aussagekraft dieser Studie Folgestudien empfohlen, um einen möglichen Zusammenhang zwischen Rasse und Zahnerkrankungen zu bewerten.
VetCompass Programm des RVC
In einer retrospektiven Kohortenstudie von 161.979 Kaninchen, die im Jahr 2019 an englischen Tierkliniken vorgestellt wurden, wurden 2.219 Kaninchen mit Zahnerkrankung zufällig ausgewählt und mit 117.890 Kaninchen ohne Zahnerkrankung auf eine mögliche Prädisposition bestimmter Zuchtformen für Zahnerkrankungen hin untersucht. Als wichtigste Ergebnisse wurden festgehalten:
- Zahnerkrankungen traten bei den untersuchten Kaninchen insgesamt sehr häufig auf (15%), überwiegend an den Backenzähnen
- Als bedeutende Risikofaktoren für die Entstehung von Zahnerkrankungen wurden das Geschlecht, das Körpergewicht und das Alter ermittelt (männliche Kaninchen waren häufiger von Zahnerkrankungen betroffen als weibliche; mit steigendem Körpergewicht traten Zahnerkrankungen seltener auf; mit steigendem Lebensalter traten Zahnerkrankungen häufiger auf)
- Weder hängende Ohren noch eine brachyzephale Kopfform zeigten statistisch signifikante Zusammenhänge mit Zahnerkrankungen
(Jackson et al. 2024; siehe auch: ↗VetCompass News (05.03.2024); PDF Download: ↗Christmas, M. VetCompass™ Newsletter December 2022; Seite 5).
"Das größte Problem in der Zucht von Zwergkaninchen für den Heimtiermarkt liegt in der fehlenden Selektion auf gesunde Tiere und in der mangelhaften Haltungsberatung [...]." (Not 1998; zitiert nach Rühle 2020/63)
Siehe auch
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass Zahnerkrankungen die Funktion anderer Organe und Systeme beeinträchtigen können, z. B. des Atmungs- und Verdauungssystems, der Augen oder der Ohren. Häufig sind die Symptome unspezifisch, und für eine eindeutige Diagnose (nicht Identifizieren einer Ursache) von Zahnerkrankungen oder sekundären Erkrankungen im Kopfbereich sind moderne bildgebende Verfahren notwendig (Korn 2016; Korn, Brandt & Erhardt 2016; Del
Chicca et al. 2023; Petrini et al. 2023; Borawski et al. 2024; Mikoni et al. 2024).
3) Sinnesleistungen
Hören
Eine Schwerhörigkeit oder Taubheit lässt sich nicht zwingend am Verhalten feststellen - Ein mögliches Anzeichen ist das Unvermögen, die Ohrmuscheln auf Schallquellen auszurichten.
Eine durch hängende Ohren bedingte, erbliche Schwerhörigkeit oder Taubheit - die nach TierSchG § 5. (1) und (2) verboten wäre - wurde bisher nicht beschrieben/ nachgewiesen.
Zur vergleichenden Beurteilung des Hörvermögens mittels früher akustisch evozierter Potentiale (FAEP) untersuchte Claaßen (2004) in einer Tierklinik 94 narkotisierte Kaninchen (Gruppe 1: 74 ohrgesunde Tiere, davon 19 Zwergwidder; Gruppe 2: 20 kranke Tiere mit Kopfschiefhaltung (davon 15 Tiere mit positivem EC-Titer und 5 mit bestätigter Otitis media et interna), davon 5 Zwergwidder; keines der Tiere war leuzistisch weiß). Die Herkunft der Tiere blieb unberücksichtigt.
Als mögliche Belastungsfaktoren auf das Hörvermögen (Störungen der Schallleitung oder Schallempfindung) wurden festgehalten:
- erblich: Leuzismus oder eine züchterisch veränderte Anatomie der Ohren;
- erworben: zunehmendes Alter, übermäßig angesammeltes Cerumen (verlegte Gehörgänge), Otitis (siehe Punkt 1)), sonstige Entzündungsprozesse im Körper, ein hoher Lärmpegel, eine ungünstige Ernährung oder Medikamente.
Schließlich wurde festgestellt, dass eine zuverlässige Diagnose der Ursache einer Kopfschiefhaltung (Otitis vs. EC) mittels einem Vergleich der Hörschwelle via FAEP
nicht möglich sei.
Zum Vorwurf der Qualzucht:
In dieser Studie (Claasen 2004) wiesen Widderkaninchen (Zwergwidder) eine höhere Hörschwelle auf als andere Kaninchen (Zwergkaninchen, Blaue Wiener, Thüringer, Löwenkopf-Kaninchen, Deutsche Schecke, Dalmatiner-Kaninchen). Allerdings wies die Hörschwelle insgesamt eine hohe Variabilität auf, so dass häufig die Standardabweichung die Mittelwerte überstieg, und aus diesem Grund wurden die Mediane verwendet. In JEDER Gruppe von Kaninchen waren auch taube Tiere vorhanden - egal ob gesund, krank, "Zwergwidder" oder eine andere Rasse - Es konnte kein signifikanter Unterschied festgestellt werden.
Aufgrund der methodischen Schwächen ist diese Arbeit als Begründung für eine Qualzucht ungeeignet.
Sehen
ALLE domestizierten Kaninchen haben im Vergleich zum Wildkaninchen tiefer liegende, kleinere Augen und damit ein eingeschränktes Sichtfeld (unabhängig von der Position ihrer Ohren). Die QUEN lässt ihre Leser im Unklaren darüber, welche Referenz für eine Beurteilung des Sichtfelds von Hauskaninchen herangezogen werden sollte.
(Siehe auch FB "Kaninchen würden Wiese kaufen", Wildkaninchen vs. Roter Neuseeländer, Veröffentlichungen vom 01.10.2022.)
Bei Tierbewertungen sind Preisrichter in der Verantwortung, Übertypisierung durch Punktabzug oder Ausschluss zu strafen.
Domestikation und resultierende Veränderungen
Als Ergebnis der Domestikation und der damit verbundenen Selektion auf Zahmheit und Anpassungsfähigkeit an vorgegebene Haltungsbedingungen ist bei allen Hauskaninchen die Entwicklung des Ektoderms (äußeres der drei Keimblätter während der Embryogenese), des Gehirns, der Sinnesorgane (Hören, Sehen), des Nerven- und des Atemsystems sowie das (Flucht-)Verhalten im Vergleich zu Wildkaninchen verändert. Zugrunde liegen komplexe genetische Veränderungen, vor allem innerhalb regulatorischer DNA-Abschnitte - mittels Sequenzierung konnte eine starke positive Selektion entsprechender Gene, teils bis zur Fixierung, bei Hauskaninchen gezeigt werden (Carneiro et al. 2014; Brusini et al. 2018; Garreau & Gunia 2018; Xie et al. 2024b).
Gewisse Beeinträchtigungen sind bei allen Hauskaninchen im Vergleich zum Wildkaninchen vorhanden, nicht nur bei Widderkaninchen. In geschützten Haltungsbedingungen mit geringem oder nicht vorhandenem Feinddruck sind Hauskaninchen jedoch nicht zwingend auf vergleichbare Fähigkeiten in Bezug auf Hören, Sehen oder Reaktionsvermögen angewiesen.
Zur Beurteilung der Sinnesleistungen von Hauskaninchen sollten Domestikationsprozesse nicht unberücksichtigt bleiben.
4) Kommunikation
Die gesamte Körperhaltung - insbesondere die Haltung der (wildfarbigen) Blume - sowie Gerüche haben in der Kommunikation zwischen Kaninchen vermutlich eine deutlich größere Bedeutung als die Stellung der Ohren (eigene Beobachtung; Searle 1968; Mykytowycz 1972; Kraft 1976; Rühle 2022-2024, Beobachtungen an Wildkaninchen, FB "Kaninchen würden Wiese kaufen", Veröffentlichungen vom 08. bis 14.06.2022 und vom 05. bis 08.02.2024).
Siehe dazu auch die Feststellung von Liebe (1889): "Der Geruchssinn ist augenscheinlich der am besten entwickelte Sinn; das beständig auf- und niederzuckende Näschen unterhält in erster Linie die Verbindung des Tieres mit der Außenwelt." (in: Gefangene Wildkaninchen. Zoologischer Garten, zitiert nach Möbes 1946).
5) Verletzungsgefahr
Englische Widder
Herzog et al. (2005) forderten die Festlegung einer Maximallänge des Behangs für Widderkaninchen, was in verschiedenen Standards (ZDRK, EE) umgesetzt wurde. So beträgt die gemäß Europa Standard (2024) zulässige, maximale Behanglänge für Englische Widder (mittelgroße Rasse) 60,0 cm. (Zum Vergleich: bei den ebenfalls mittelgroßen Meißner Widdern sind bis zu 42 cm erlaubt.)
Anmerkung: Die Rasse Englische Widder wird vermutlich vorrangig landwirtschaftlich genutzt und gilt in Deutschland (ZDRK) inzwischen als extrem gefährdet, und auch in Österreich gibt es nur wenige Züchter - ihre Relevanz in der allgemeinen, bzw. insbesondere auf Heimtiere bezogenen "Qualzucht"-Debatte scheint fragwürdig. Um Verletzungen vorzubeugen, sind überlange Krallen zu vermeiden und bei Zuchttieren auf einen physiologischen Stand der Hinterbeine zu achten (keine Kuhhessigkeit); diese Forderungen gelten grundsätzlich für alle Hauskaninchen.
Allgemein
Bei eigenen Beobachtungen von naturnah gehaltenen Kleingruppen, bestehend aus Häsinnen und Kastraten, konnte bisher in Bezug auf die Anfälligkeit für Verletzungen der Ohren kein auffälliger Unterschied zwischen Kaninchen mit stehenden (Perlfeh oder Mischlinge) und hängenden Ohren (Kleinwidder oder Zwergwidder) festgestellt werden. Eher streitlustig und daher anfällig für Verletzungen haben sich Häsinnen ab beginnender Geschlechtsreife gezeigt - unabhängig von der Ohranatomie.
Auch Southern (1938) stellte bei seiner Beobachtung von gekennzeichneten Wildkaninchen vor allem während der Paarungszeit oder mit dem Eintritt der Geschlechtsreife ein gesteigertes Aggressionsverhalten fest. Laut Hesterman et al. (1974) kann eine hohe Besatzdichte aggressives Verhalten fördern, insbesondere von Häsinnen, bzw. dominanten Tieren.
Siehe dazu auch die folgende Feststellung: "Aggressives Verhalten von Häsinnen unterliegt jahreszeitlichen Schwankungen und erreicht einen ersten
Höhepunkt mit dem Eintritt der Geschlechtsreife." (Hoy 2009, zitiert nach Buhl 2017).
Bei einer gemeinschaftlichen Haltung von Kaninchen sind bei stabiler Rangfolge zwar die meisten sozialen
Interaktionen von freundlicher Natur, aber dennoch können Streitereien vorkommen - insbesondere unter Beteiligung von zwei oder mehr Häsinnen;
nur bei Einzelhaltung (getrennte Haltungseinrichtungen) können
entsprechende Verletzungen ausgeschlossen werden.
Mit einem dauerhaft großzügigen Platzangebot ohne Engstellen und Sackgassen kann das Verletzungsrisiko auch in einer Paar- oder Gruppenhaltung reduziert werden. In einer naturnahen Haltung empfiehlt es sich, etablierte Fluchtwege möglichst zu erhalten (keine Gegenstände in den Weg stellen).
Für eine Vergesellschaftung erwachsener Kaninchen muss ein ausreichend großes und strukturiertes Gehege eingeplant werden.
Adulte Rammler sind in der Regel nur kastriert geeignet für Paar- oder Gruppenhaltung (Zuchtabsicht ausgenommen). Eine gemeinsame Haltung von intakten Rammlern (auch Geschwister, die gemeinsam aufgewachsen sind) geht - unabhängig von der Anatomie der Ohren - mit einem großen Risiko für schwere Bissverletzungen einher!
Die Ohren von Kaninchen sind allgemein verletzungsanfällig, sowohl von Wildkaninchen als auch von Hauskaninchen in Gruppenhaltung.
➭ Das Risiko für Verletzungen (der Ohren) kann unter Berücksichtigung natürlicher Verhaltensweisen und entsprechend angepasster Haltungsformen stark reduziert werden.
(Stand: 12/2024)
↗Qualzucht, ↗Qualzuchthypothesen, ↗Krankheiten und verwandte Seiten (WikiKanin)
》Neues vom QUEN. Belastungen und Evidenzen - Kaninchenzeitung 10/2023《
》BMEL schafft Klarheit zur Thematik der Qualzucht UND Merkblatt mit kurzer Halbwertszeit - Kaninchenzeitung 1/2023《
》Die "Qualzucht"-Kampagne des QUEN - gemeinschaftliche Sonderausgabe Kleintiernews und KaninchenZeitung 11/2022 (PDF ↗Download; inklusive umfangreicher Literatur-Übersicht)《
》Die "Qualzucht"-Kampagne des QUEN - Kleintiernews 86 09/2022《
》Kritische Beleuchtung von "Qualzuchten" - Kleintiernews 63 10/2020《
》 Zuchtformen und "Qualzucht" - Kleintiernews 57 04/2020《
↗https://www.facebook.com/kwwk2015
↗Qualzucht I (Rühle, Stand 2022)
↗Qualzucht im österreichischen Tierschutzgesetz (Sommerfeld-Stur, Stand 2008)
*im Aufbau*: ↗"Qualzuchten in Deutschland" - ein Projekt des Interdisziplinären Zentrums für Tierschutz und 3R (ICAR3R) der Universität Gießen (Start 2024).
Beim Fluchttier Kaninchen können beginnende Erkrankungen (z.B. Ohr- oder Zahnerkrankungen) möglicherweise leicht übersehen werden, und es ist nicht ausgeschlossen, dass hängende Ohren ein Risikofaktor vor allem für Ohrerkrankungen darstellen - Insbesondere (aber nicht ausschließlich) Widderkaninchen sollten von ihren Haltern stets gut beobachtet werden: Verhalten allgemein, Fressverhalten (Appetitlosigkeit, abnehmendes Gewicht), regelmäßiges Abtasten des Kopfbereichs (Verdickungen/ Abszesse oder erhöhte Temperatur an Ohrbasis oder Kiefer), in die Ohren schauen/ riechen, Gesichtsausdruck (schiefer Mund), Augen und Nase (Ausfluss). Bei ALLEN Kaninchen sollten bei jeder tierärztlichen (Routine-)Untersuchung die Ohren angeschaut und bei Verdacht auf eine Otitis weitere Untersuchungen (z.B. Zytologie und CT) eingeleitet werden - auch Nase, Augen und Zähne sollten dann kontrolliert werden. Umgekehrt sollten bei Zahnerkrankungen oder Schnupfen auch die Ohren kontrolliert werden.
Meistens sind Erkrankungen multifaktoriell bedingt: die Zuchtform, z.B. hängende Ohren, kann eine Rolle spielen (muss aber nicht) - bereits nachweislich der Gesundheit dienliche Faktoren sind eine bedarfsgerechte Ernährung, angemessene Haltungsbedingungen sowie kontrollierte Zucht einschließlich angemessener Selektion (siehe Ernährung, Haltung, Zucht und zugehörige Unterseiten).
Erkrankungen oder Verhaltensprobleme sind nicht zwingend allein auf eine bestimmte Zuchtform zurückzuführen.
Datenbank Tiergenetische Ressourcen in Deutschland (TGRDEU)
Auftraggeber: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL)
↗Liste einheimischer Kaninchenrassen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)
Demnach zählen Deutsche, Englische und Meißner Widder zu den erhaltenswerten Kaninchenrassen (... ebenso Riesen, Marderkaninchen, Russen, Hermelin, Angorakaninchen oder Rexkaninchen).
Ergänzende Anmerkung: Aufgrund des großen ökonomischen Wertes nachhaltiger Rohstoffe (z.B. natürliche Wolle, Felle) werden Forschungsarbeiten, die zum Verständnis molekularer, biochemischer Prozesse beitragen und damit eine gezieltere Selektion (z.B. bestimmter Haarcharakteristika) ermöglichen können, durch europäische Fördermittel mitfinanziert (European agricultural fund for rural development (EAFRD), z.B. Ballan et al. 2023).
Anekdoten in sozialen Netzwerken
Mit dem "grantigen
Onkel" typische Desinformations-Methoden kennen lernen:
↗https://app.crankyuncle.info/home